Margarete Bause MdB Sprecherin für Menschenrechtspolitik und Humanitäre Hilfe der Bundestagsfraktion Bündnis 90 / Die Grünen und Obfrau im Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe im Deutschen Bundestag. Bis zu ihrer Wahl in den Bundestag im September 2017 war sie unter anderem 14 Jahre Fraktionschefin der Grünen im Bayerischen Landtag.

PPJ interviewte Margarete Bause, Sprecherin für Menschenrechte und humanitäre Hilfe im deutschen Bundestag, zur Menschenrechtslage in der Türkei und zu den diesbezüglichen Konflikten, die auf europäischem Boden ausgetragen werden.

 

Türkische Abgeordnete und regierungsnahe Medien beschuldigen Cem Özdemir immer wieder als “Verräter” und “Terroristen”. Wie ist Ihre Haltung gegenüber derartigen Hassparolen gegenüber Ihren Partei-Chef?

Wer diese Sprache wählt und entsprechend hetzt, macht sich zum Büttel des Autokraten Erdogan. Cem Özdemir ist ein „anatolischer Schwabe“, wie er sich selber bezeichnet. Er ist ein Freund der Türkei, aber einer Türkei, die liberal, weltoffen und pluralistisch ist; auf einem Weg, auf dem sie über viele Jahre hinweg ja auch mal war. Dass ein Politiker wie Cem in Deutschland Personenschutz vor Feinden der Demokratie braucht, ist bitter. Wir hier leben in einem Rechtsstaat. Und der sieht auch wirksame Instrumente gegen Verleumdung und Hetze vor.

 

Es gab bereits in Deutschland, Holland, Schweiz, Schweden und anderen Ländern die Meldungen über Entführungspläne des türkischen Geheimdienstes von türkischen Geflohenen. Diesbezüglich gab es in der Schweiz nun zwei Strafverfahren gegen türkische Diplomaten. Wie bewerten Sie derartige Konflikte, die auf europäischem Boden ausgetragen werden aus dem Aspekt der Menschenrechte?

Das  beobachte ich mit großer Sorge.

Erstens: Die Entführung eines Menschen verstößt gegen das Deutsche Strafgesetz. Zweitens: Deutschland muss aufgrund seiner menschenrechtlichen Verpflichtungen derartige Verfolgungen verhindern. Das heißt, Deutschland ist verpflichtet, Menschen vor Eingriffen wie in das Recht auf persönliche Freiheit und Sicherheit zu schützen, auch wenn sie von Menschen aus anderen Staaten begangen werden. Gegebenenfalls muss unser Staat Bedrohten spezielle Schutzmaßnahmen bieten.

Grundsätzlich sind die Mitgliedstaaten der Europäischen Menschenrechtskonvention verpflichtet, Bürger, die sich auf ihrem Staatsterritorium aufhalten, vor Menschenrechtsverletzungen zu schützen. Auch eine in einem anderen Staat verfolgte Person hat diesen Schutzanspruch. Und: Wer Menschen auf fremdem Staatsterritorium verfolgt oder bedroht, kann  belangt werden. Wenn wir also Strafverfahren wegen geplanter Entführungen einleiten, ist dies aus menschenrechtlicher Perspektive ein Schutz der potentiellen Opfer.

 

Wie man auch beispielhaft am Fall von Deniz Yücel sehen konnte, befinden sich derzeit zehntausende Journalisten, Juristen, Beamten und Akademiker unschuldig in Haft. Auf Druck der deutschen Bundesregierung kam Yücel frei und konnte nach Deutschland kommen. Dies ist leider für die deutsche Journalistin Mesale Tolu und viele andere Tausende Menschen nicht möglich. Glauben Sie, dass auch für jene ausreichend Hilfe und Unterstützung für Menschenrechte aus Deutschland und der EU erfolgt?

Die Entlassung von Deniz Yücel aus der Haft hat uns mit großer Freude erfüllt. Dennoch gilt mehr denn je: Meinungs- und Pressefreiheit sind nicht verhandelbar und ein Gradmesser für die Freiheit des Zusammenlebens in einer Gesellschaft. Wo die freie Meinung geknebelt wird, wird gesellschaftlicher Friede bedroht. Wir haben deshalb in den letzten Monaten immer wieder auf die prekäre Menschenrechtslage in der Türkei hingewiesen, Aufrufe unterzeichnet und Mahnwachen organisiert.  Das Engagement der Bundesregierung darf nicht mit dem Fall von Deniz Yücel enden – auch türkische JournalistInnen bedürfen unserer Unterstützung. Die Botschaft muss lauten: Unter den aktuellen Umständen ist eine Normalisierung der deutsch-türkischen Beziehungen schlichtweg unmöglich. Deutschland und Europa müssen klare Kante für Demokratie und Menschenrechte in der Türkei zeigen. Und Rüstungsgüter in ein Land zu liefern, das in seiner Nachbarschaft Kriege führt und Waffen gegen das eigene Volk einsetzt – das geht gar nicht.

 

Was denken Sie zu den jüngsten Ereignissen der Schließung der deutschen Schule in Izmir?

Da der Schulbetrieb dort ja erst wieder Ende August aufgenommen wird, ist diese Maßnahme vorerst wohl eher eine symbolische. Das Signal soll  lauten: Der Austausch von Kultur und Bildung zwischen der Türkei und Deutschland ist nicht erwünscht. Dies wäre ein weiterer trauriger Beleg dafür, dass Präsident Erdogan über Jahrzehnte gewachsene Beziehungen kappen und den Einfluss europäischer Werte auf die Gesellschaft seines Landes zurückdrängen will. Ich erwarte, dass nach den Sommerferien der Schulbetrieb wieder aufgenommen wird. 

 

Unter dem Namen “Osmanen Germania” organisiert eine Gruppe türkischstämmiger Männer kriminelle Handlungen in Deutschland und fungiert als verlängerter Arm Erdogans. Wie bewerten Sie diesen Trend?

„Osmanen Germania“ wurde ja jetzt durch das Bundesinnenministerium verboten. In den letzten Jahren ist der Verein in Deutschland immer wieder mit schwerster Kriminalität in Erscheinung getreten, z.B. mit Drogenhandel, Zuhälterei, Zwangsprostitution, Mord, Erpressung oder Freiheitsberaubung). Solche Gruppen stellen eine ernste Gefahr dar, denn  ihre Verbrechen und ihre Strukturen sind in jedem Fall auch der organisierten Kriminalität zuzurechnen. Deswegen ist es richtig, dass der Rechtsstaat jetzt durchgegriffen und das Vereinsverbot ausgesprochen hat. Nur darf man sich natürlich auch nichts vormachen: Auch wenn Rockerbanden oder derartige Vereine verboten werden, heißt das nicht, dass sie dann nicht mehr da sind. Das Gedankengut und die Strukturen leben weiter.

 

Was sagen Sie als Politikerin zu den erschwerenden Wahlsituationen der jüngsten Wahl in der Türkei im Kurdengebiet und dass HDP Chef Selahaddin Demirtas seine Wahlkampagne aus dem Gefängnis führen musste?

Wer Privatwohnungen von freigewählten Abgeordneten und Parteifunktionären, von kurdischen Bürgermeistern oder Kommunalpolitikern stürmt und diese verhaftet, tritt Rechtsstaat und Demokratie mit Füßen. Erdogans Willkürmaßnahmen vertragen sich auch nicht mit der Mitgliedschaft der Türkei im Europarat, und eine autokratische Erdogan-Türkei kann auch kein Mitglied der EU werden. Für eine Beendigung der Beitrittsverhandlungen plädiere ich nicht – sie liegen ja de facto bereits seit Jahren auf Eis. Aber die EU muss endlich konsequent die demokratische Zivilgesellschaft in der Türkei unterstützen und gerade die Jugend, die mehrheitlich pro Europa eingestellt ist.

 

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat die 30.000 Klagen von den entlassenen 115.000 Beamten nach dem Putschversuch vom 15.07.2016, mit der Begründung der Erschöpfung des Rechtswegs in der Türkei, an ein von europäischen Juristen unabhängiges, von der türkischen Regierung gebildetes, siebenköpfiges Komitee geleitet. Die Antragstellung an dieses Komitee ist in der Türkei erschwerend, vor allem weil die Mitglieder nicht bekannt sind und die Rechtsstaatlichkeit schon seit langem labil. Wir kritisieren diese unzureichende Haltung des ECHR. Wie ist Ihre Haltung zu diesem Entscheid?

Das ist sehr  problematisch. Auch Amnesty International hat diese Praxis bereits kritisiert. Die türkische Notstandsgesetzgebung ermöglicht willkürliche Massenentlassungen unter dem Vorwurf nicht näher definierter Verbindungen zu terroristischen Vereinigungen. Dass der ECHR zunächst davon ausgegangen ist, dass dieses Komitees funktionieren könnte, kann man naiv nennen; grundsätzlich hat der ECHR sich aber in seiner Entscheidung ein Hintertürchen offen gelassen: Denn er gesagt hat, dass der Antrag erneut gestellt werden kann, wenn offensichtlich ist, das dieses Komitee seiner Aufgabe nicht nachkommt. Will heißen: Er muss aktiv werden, wenn es keine effektiven Rechtsmittel gibt  und  in den zigtausenden Fällen der Entlassungsbeschwerden entscheiden

 

 

 

 

 

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