Täglich kommen immer mehr Details über die Umerziehungslager aus der Provinz Chinas Xinjiang ans Tageslicht. Während die Regierung die Menschenrechtsverletzungen an den Uighuren dort immer noch als Bildungsmaßnahme debattiert, versuchen längst immer mehr Politiker*innen und Aktivist*innen die Öffentlichkeit mit den realen Tatsachen vertraut zu machen. Die Menschen dort unterliegen dort Zwangsmaßnahmen, die zuletzt während des zweiten Weltkrieges in Konzentrationslagern durchgeführt wurden: Assimilationspraktiken, psychische-physische und sexuelle Gewalt, Experimente an Menschen. Bundestagsabgeordnete wie Gyde Jensen (FDP) und Margarete Bause (die Grünen) fordern bereits die Bundesre-gierung zu aktivem Handeln auf. Auch immer mehr uighurische Aktivist*innen bilden einen Aufschrei, der auf die Menschenrechtsverletzungen aufmerksam machen soll.

Anlässlich des Tages für Menschenrechte haben wir mit der Aktivistin Shahnura Kasim aus München über die tragische Lage der Uighuren in Xinjiang gesprochen. Sie machte mit einem Video auf Instagram auf die Situation der Menschen in den Lagern aufmerksam.

PPJ: Über ein Posting auf Instagram wurde ich auf dich aufmerksam. Dieses Posting wurde von diversen Menschenrechtsorganisationen und Aktivistinnen geteilt. Worum geht es da?

Kasim: In meinem Video, was so verbreitet wurde, habe ich über meine  verschwundenen Verwandten berichtet und Bilder von ihnen gezeigt und mögliche Gründe für ihr Verschwinden in einem der vielen Umerziehungslagern  genannt und noch Details was mit ihnen im Lager passiert ist. Zudem habe ich noch am Ende erwähnt das ich nicht die einzige bin und um Hilfe gebeten, was dann auch zahlreich kam.

PPJ: Viele Menschen bekommen derzeit nicht das Ausmaß der Menschenrechtsverletzungen in China gegen die uighurische Bevölkerung mit. Was genau passiert da?

Kasim: Osttürkistan, was von der Chinesischen Regierung zu Xinjiang unbenannt wurde, was soviel wie „neues Gebiet“ heißt, wurde 1949 erobert, und das Volk wird seitdem dort unterdrückt.

Es war schon immer schlimm was dort passierte, aber die Konzentrationslager und Umerziehungslager welche im Jahr 2016 erschienen, übertreffen alles. Das ist die oberste Grenze was man gegen Menschenrechtsverletzungen machen kann. Leider berichten nicht alle Medien darüber, aber das Thema kommt von Tag zu Tag mehr ans Licht und ich hoffe es hat einfach bald ein Ende. In den Lagern sollen bis zu 3 Millionen Uighuren festgehalten werden.

Die Chinesische Regierung sagt, dass wir eine Minderheit von 10 Millionen sind aber das stimmt nicht. Die Regierung handelt unethisch und macht falsche Angaben. Das Uighurische Volk hat eine Bevölkerung von 20-30 Millionen Menschen. Auf alten Fotos kann man auf den Straßen früher die Einkaufszentren mit Menschen überfüllt sehen. Aber ich habe Bilder gesehen, auch von Journalisten die 2018 dort waren, auf den Straßen sind keine Menschen mehr- nicht einmal Kinder die spielen. Deswegen zweifle ich sehr an den drei Millionen ich bin mir sicher das es über 5-10 Millionen Menschen sind, die in den Lagern festgehalten werden. Es gibt dort ja nicht nur ein Lager, sondern dutzende.

PPJ: War die Situation davor in China für die Uighuren denn jemals demokratisch?

Kasim: Das Uighurische Volk kennt das Wort „Demokratie“ oder „Freiheit“ nicht. Mein Volk hatte seid 1949, das Jahr an dem Osttürkistan erobert wurde, keine Freiheit mehr. Das Volk dort wurde schon immer unterdrückt. Es gab keine Meinungsfreiheit und keine Pressefreiheit sowie Reiseverbote ins Ausland.

Die Menschen mussten damals schon fliehen, genauso wie mein Vater. Friedliche Demos wurden brutal beendet sowie das Massaker vom 05.07.2009, bei der die Uighuren während einer friedlichen Demonstration von der chinesischen Polizei mit einem Blutbad getötet wurden.

Wenn Menschen, insbesondere junge Männer oder Aktivisten sich für Ihre Menschenrechte dort einsetzten, wurden sie in geheimem getötet oder erpresst oder schlimmeres was man sich nicht vorstellen kann. Ich könnte noch so viele Punkte und Daten  aufzählen, an denen mein Volk unterdrückt wurde und getötet wurde aber dann würde ich niemals fertig werden.

PPJ: Laut Angaben einiger uighurischer Aktivistinnen, sollen Angehörige in China dafür streng bestraft werden, wenn diese im Ausland dazu Stellung nehmen. Du zeigst in deinem Posting viele Fotos von Verwandten die bereits verstorben oder verschollen sind. Dennoch zeigst du Mut diesen Völkermord öffentlich zu machen. Hast du manchmal Angst, Bedenken oder Gegner, die dich von deinem Aktivismus zurückhalten?

Kasim: Leider stimmt es, dass die chinesischen Behörden die Uighuren mit den Verwandten in Osttürkistan erpressen und viele lassen sich auch erpressen- es ist schließlich die Familie und Angst spielt leider auch eine sehr große Rolle bei diesem Thema. Tatsächlich fragen mich sehr viele, „ja hast du denn keine Angst?“ Ich habe wirklich keine Angst. Keine Angst vor den Erpressungen oder die Mittel die sie verwenden, um mich zurückzuhalten. Zum Glück ist das bis jetzt aber noch nicht passiert. Ich denke immer an die unschuldigen Menschen die dort in den Lagern gerade gefoltert werden und sterben müssen.

An die Kinder, die von ihren Eltern getrennt werden und an chinesische  Familien gegeben werden und an die Frauen und Mädchen die vergewaltigt werden oder zur Prostitution gezwungen werden oder sogar mit Chinesen zwangsverheiratet werden. Dieser Gedanke ist für mich Grund genug, um aktiv zu bleiben und wenn nicht noch aktiver zu werden denn meine Verwandten haben „Glück“, dass wir im Ausland leben und über die berichten können oder wir sie für eine Zeit lang schützen können, aber die anderen Millionen? Was ist mit ihnen? Die brauchen uns die brauchen unsere Stimme die für sie spricht! Das ganze Volk ist meine Familie und das sind alles Menschen für die man sich einsetzen muss.

Außerdem finde ich sind wir das ihnen schuldig sind! Wir leben im Ausland frei und ohne Sorgen und können machen, was wir wollen, also sollten wir diese Freiheit nutzen und was Gutes tun und unschuldigen Menschen helfen und für sie kämpfen bis das ein Ende hat.

PPJ: Leider fehlt eine starke Solidarisierung seitens unterschiedlicher Länder mit den Uighuren in China. Woran könnte das liegen und was könnte eine derartige Unterstützung bewirken?

Kasim: Leider gibt es viele Länder die Uyghuren nach China abschieben aber dafür bekommen die auch tonnenweise Geld das sind teilweise Länder die ohne Chinas Geld gar nicht mehr leben können. China hat die so unter Kontrolle das sie wie eine Marionette sind. Sie machen alles was China ihnen sagt und wenn sie mal was machen was sie nicht tun sollten, müssen sie mit den Konsequenzen rechnen. Für mich aber noch lange kein Grund, Menschen in einen Völkermord zurückzuschicken, mit dem Wissen, was ihnen dort passiert.

PPJ: Welche Länder könnten deiner Meinung nach wie unterstützen? Worum würdest du Menschen bitten, die dich in deiner Aktion unterstützen wollen?

Kasim: Amerika und Europa unterstützen uns viel aber meiner Meinung nach können sie noch viel mehr machen und wirklich China klare Grenzen setzen, was Amerika gemacht hat aber Deutschland zum Beispiel nicht, denn der Wirtschaftshandel ist ethisch nicht vertretbar, den sie mit China haben.

Zudem hätte die Türkei uns sehr viel unterstützen können was sie leider nicht gemacht haben. Sie wissen bestimmt von dem Projekt „Seidenstraße“ das China gerade führt. Sie wollen ja die Seidenstraße bis nach Europa führen und müssen durch die türkischsprachigen Raum durch.

Durch ganz Osttürkistan, denn sonst können sie nicht nach Europa gelangen und die Türkei und die anderen türkischsprachigen Länder wie Kasachstan oder Kirgistan hätten sagen können „Stopp! Du willst den Zug durch meinem Land führen? Dann höre auf mit dem Genozid!“ Es wäre vielleicht nicht so weit gekommen, denn sie hatten die Gelegenheit, was sie leider nicht nutzen.    
Die Situation in den sozialen Medien zu verbreiten, ist eine sehr große und wichtige Sache, denn in der heutigen Zeit verbreitet sich alles in den sozialen Medien so schnell und je mehr Menschen davon wissen und es verbreiten, desto mehr Druck gibt es auf die Chinesische Regierung.

About The Author

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Hilal Akdeniz is a junior researcher at the Institute of Sociology of the Goethe University Frankfurt. Her main topics are gender, flight and migration. She is currently researching biographical narratives of refugees on identity and affiliation. She works as a freelance journalist and a speaker at the intercultural council in Darmstadt.

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